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"Du bist schwanger - und nicht krank."

  • Autorenbild: Lilith Sander
    Lilith Sander
  • 29. Dez. 2023
  • 4 Min. Lesezeit

Über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett hatte ich bereits Einiges in meinem kurzen Studium der Hebammenwissenschaft gelernt. Mir waren körperliche Veränderungen, Besonderheiten in Bezug auf Ernährung und Sportroutinen und auch allgemeine Belastungen auf Beckenboden und Psyche bekannt.


Die Romantik einer Schwangerschaft – und vor allen Dingen einer Geburt – wurde mir spätestens im Kreißsaal ausgebläut.


Ob ich nun mit meinen Erfahrungswerten eine Hausgeburt bevorzuge? „Auf absolut keinen Fall“, dachte ich und konnte insgeheim die ausgebildeten Hebammen nicht verstehen, die die Vorteile von Hausgeburten gegenüber den Nachteilen herausstellten.


Man könnte mich desillusioniert nennen, vielleicht auch übertrieben, aber was tatsächlich zutrifft, ist: Ich bin eine strenge Schwangere.

Mir ist es wichtig, was ich meinem Körper zuführe, dass ich auf Gifte vollständig und ohne heimliche Ausnahme verzichte (im Gegenteil zu einigen leisen Meinungen in Akademikerkreisen à la „Ein Schlückchen Rotwein für den Geschmack“), dass ich Sport weiterhin treibe, jedoch in gesunden Maßen, und dass ich auf Medikamente so weit es geht trotz meiner schwerwiegenden Migräne-Erkrankung verzichte.

Ich bin sogar kurzeitig aus dem Kinosaal herausgegangen, da mir Oppenheimer zu laut abgespielt wurde und ich Sorge hatte, dass es mein Baby belasten könnte.


In den ersten Wochen der Schwangerschaft kam zu meiner Lebensumstellung auch noch körperliches Leid hinzu. Ich schleppte mich mit unangenehm latenter Übelkeit von Tag zu Tag, begleitet von einem unnachgiebigen Speichelfluss, der einen ganzen See hätte füllen können. Übelkeit, das kennt man – aber Speichelfluss? Und was soll eigentlich diese mysteriöse Morgenübelkeit sein, wenn einem doch den ganzen Tag übel ist?

Hinzu gesellte sich obendrein bleierne Müdigkeit, die kein Schlafpensum hätte stillen können, und eine Verschlimmerung meiner Migräne-Erkrankung. „Nun ja, in 80% der Fälle wird Migräne in der Schwangerschaft besser. Sie gehören leider zu den 20%, bei denen es sich verschlimmert.“, entgegnete meine Neurologin.


(Kennt ihr die schwarze Katze aus den TikToks, die mit ihrem sarkastisch-hämischen Blick momentan viral geht? Thats me.)


Besonders die ersten zwölf Wochen habe ich als herausfordernd empfunden und verstehe den gesellschaftlichen Konsens nicht, dass man die Schwangerschaft in der Zeit lieber geheim halten sollte.

Natürlich postet man kein romantisches Instapic mit Handfläche auf dem noch zarten Bäuchlein in den ersten Wochen, da noch etwas schief gehen kann, und es die Traurigkeit später steigern könnte, dies „öffentlich“ wieder erklären zu müssen, verstehe schon - aber meiner Meinung nach, hätte es mir gut getan, zum Beispiel meinen Arbeitgeber direkt zu informieren – einfach damit man mich in dieser sensiblen Phase auf gut deutsch in Ruhe hätte lassen können.


Was ich dann des Öfteren zu hören bekam, als dann endlich jeder von meiner Schwangerschaft wusste, war:


„Du bist schwanger – und nicht krank“.


Oder (den fand ich auch gut):


„Jede Schwangere geht nun mal anders mit den Beschwerden um. Mir hat das damals zum Beispiel nichts ausgemacht.“


Ok,wow. So schnell mundtot habe ich mich auch noch nicht erlebt.


Denn, ja ich war nicht krank, aber irgendwie ja doch schon? Diese Ansicht hat mich äußerst gestört, passte doch etwas ganz und gar nicht daran.


Und ich finde, mein Blog ist ein guter Ort, um dieses sinnlose Geschwafel, das schwangere Frauen diskriminiert und herabwürdigt, argumentativ zu entwaffnen.


Denn, wenn du mal schwanger werden solltest, möchte ich, dass du nicht wie ich erschüttert und sprachlos dastehst, sondern genau weißt, was das für ein argumentativer Nonsense ist.


Der Gesundheits-Brockhaus definiert Krankheit nämlich folgendermaßen:


„Krankheit ist definiert als Störung des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens.“

Und weiter: „Bei der Beschreibung einer Krankheit muss zwischen ihren Ursachen (Krankheitsursache) und ihren sichtbaren Anzeichen (Symptomen) unterschieden werden.“

(Gesundheits-Brockhaus, F.A. Brockhaus GmbH, Leipzig.)


Nur weil eine Schwangerschaft als Ursache für teilweise sehr belastende Krankheitssymptome (!) nicht als klassische Krankheit definiert wird, sondern schlichtweg als „ein Zeitraum von der Befruchtung einer Eizelle über die Entwicklung des ungeborenen Kindes bis zur Geburt“, heißt es nicht, dass die Symptome einer Schwangerschaft keine Krankheit darstellen!


Eine Schwangerschaft ist erstmal nichts als ein Wachstums-/Entwicklungszustand.

Die damit einhergehenden Symptome einer Schwangerschaft sind jedoch sehr wohl krankmachend.


Schwangersein ist a priori keine Krankheit, Übelkeit ist es.

Extreme Müdigkeit ist es ebenfalls.

Migräne und Kopfschmerzen auch.


„Du bist schwanger und nicht krank“, ist nicht nur eine misogyne, abwertende und den biologischen Leistungen einer Frau gegenüber absolut entwürdigende Aussage, sie ist auch schlichtweg falsch.


Diese Aussage und die Meinung, die dahinter steht, ist purer Frauenhass und einzureihen in:


„Hast du deine Tage oder was.“


Ein Kind auszutragen und zu gebären ist eine Naturgewalt und darüber darf niemand urteilen, der nicht gerade a) ebenso schwanger ist und gleichzeitig b) in genau diesem Körper genau dieses Kind austrägt.


Jede Frau ist anders und auch jede Schwangerschaft ist anders.

Nur weil jemand vielleicht Glück gehabt hat und eine komplikations- und sogar symptomfreie Schwangerschaft gehabt hat, heißt es nicht, dass das Gesetz ist. Zumal es mittlerweile wissenschaftlich belegt ist, dass Frauen, die Schwangerschaften mit Symptomen wie Übelkeit & Co. Austragen zu weniger Prozent eine Fehlgeburt erleiden.


Ich möchte zu guter Letzt noch anmerken, dass diese Sprüche in meinem Umfeld meist nicht von Männern kamen und auch nicht von Frauen im gebärfähigen Alter, sondern von Frauen, die ihre fruchtbare Zeit bereits hinter sich gelassen hatten. Ich empfinde solch einen Kampf der Frauengenerationen als besonders beschämend – wünscht man sich doch, dass ältere Frauen, die einen gewissen Erfahrungswert besitzen, nicht das Bedürfnis haben sollten, sich gegenüber jüngeren Frauen profilieren zu müssen. Mir ist bewusst, dass das ebenfalls ein Produkt des Patriarchats ist und dass frauenfeindliche Frauen in dieser Gesellschaftsform gewollt und über viele Jahrhunderte hinweg so erzogen worden sind.


Dennoch wünsche ich mir mehr Reflektionsfähigkeit und auch das eigene Wissen darüber, dass man vergangene Schmerzen schnell vergisst. Nur weil man glaubt, man hätte eine beschwerdefreie Schwangerschaft gehabt (und liegt sie auch nur kurz hinter einem), heißt es nicht, dass die Psyche einem nicht ein Schnippchen spielt und man vielleicht einfach nur vergessen hat, wie anstrengend es war.


Richtig müsste es also heißen:


Du bist schwanger - und deshalb manchmal auch krank.



Lilith

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