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Vorfreude

  • Autorenbild: Lilith Sander
    Lilith Sander
  • 24. Mai 2021
  • 4 Min. Lesezeit

Ich erinnere mich noch gut an eine Situation in meiner Kindheit. Ich hatte mit einer Freundin einen großen Ausflug geplant, auf den wir uns schon seit geraumer Zeit riesig freuten. Wir sprangen oft in die Lüfte und klatschten voller Vorfreude in die Hände, wenn wir uns gegenseitig an den bevorstehenden Tag erinnerten. (Tatsächlich war es irgendwas Gewöhnliches, wie zum ersten Mal nach Bonn fahren oder dergleichen, aber für Beinahe-Teenies ein großes Spektakel.)


Ich werde den Moment nie vergessen.

Wir standen in ihrem Zimmer, es muss Sommer gewesen sein. Die Rolladen waren etwas heruntergefahren, und das Zimmer wurde in warmes Grau getaucht – wie eine klassische Erinnerungsszene aus einem Film. Meine Freundin sah mich lächelnd an und sagte: „Ja, Vorfreude ist wirklich die schönste Freude!“


Der Moment war für mich, als hätte jemand eine Vase klirrend zu Boden fallen lassen.


„Wie – das soll schon das Schönste sein?“, geisterte es in meinem Kopf.

Es war, als wäre mein Traum von unserem großen Tag mit einem Mal zerplatzt, und die Freude gleich mit. Was soll denn dann die ganze Freude auf den großen Tag, wenn das hier schon das Höchste der Gefühle sein soll? Wenn mein schnödes Jetzt, Vorfreude hin oder her, aber wenn sich in diesem Jetzt schon die schönste Freude erfüllt, dann wird der Tag, für den die Freude ja eigentlich gilt, nur ein Abklatsch dieser Hoch-Zeit sein. Ein Tag zweiter Klasse, höchstens.

Worauf freue ich mich denn dann noch?


Mir schien alles plötzlich so sinnlos. Während meine Freundin von meinem Stimmungswandel wohl nur am Rand etwas mitbekam, war all meine Vorfreude von Dannen gezogen, und geblieben war nichts als Unverständnis der Welt gegenüber, die ich bisher immer nur mit leuchtenden Kinderaugen angestrahlt hatte.


Dieser Schlüsselmoment diente mir Jahre später als eine Art "Erleuchtung".

Denn so desillusionierend die Tatsache, dass Vorfreude die schönste Freude ist, auch sein mag, so maßgeblich lebensrettend ist es für mich geworden. Denn Vorfreude ist das Geheimnis eines glücklichen Lebens. Mehr noch: Vorfreude ist Glückseligkeit.


Ohne Vorfreude kein Glücklichsein.


Der Blick nach vorne ist das einzig wahre zugängliche Glück, das uns überlassen ist, und gibt dem Leben erst einen Wert.


Wer keine Vorfreude empfindet, der befindet sich dagegen auf der Schattenseite des Lebens.

Hier regieren Angst, Anspannung und Zukunftssorgen. Kein Ankommen im Moment, kein Genuss der jetzigen zur Verfügung stehenden Mittel, kein mutiges Anpacken der Herausforderungen und keine Hilfsbereitschaft sind ohne Vorfreude möglich. Lebensfreude gibt es nur mit einer ordentlichen Portion Vorfreude.


Keine Vorfreude, kein Lebenswille.


Während viele Menschen sich Erfüllung und Erleuchtung mit der absoluten Hingabe an den gegenwärtigen Augenblick versprechen, bin ich der Meinung, dass der Mensch damit grundlegend missverstanden wird.

Es ist nicht, wie zum Beispiel Eckhart Tolle sagt, dein Aufgehen im Moment, das dir zu deinem Glücke fehlt, sondern der hoffnungsvolle, vibrierende, vor Vorfreude nahezu explodierende Blick in die Zukunft. Dieser Blick nach vorne wird dich dabei weder vom gegenwärtigen Moment trennen noch wird er dich abheben und zu einem realitätsfernen Spinner verkommen lassen. Der enthusiastische Blick nach vorne ist die einzige – ich wiederhole, die einzige offene Tür, die dir zum Eintritt in eine freudvolle Gegenwart zusteht.


Eckhart Tolles Behauptung mag ja logisch klingen, und in vielen Punkten hat er Recht, aber in letzter Konsequenz schreibt er ja selbst „sterbe bevor du stirbst“ im jetzigen Moment. Er bezwingt das Aufgehen im Jetzt als eine Leerstelle. Er fordert ganz pathetisch ein inneres "Sterben" im Jetzt. Ich finde aber, du bist kein dahingleitender, lebloser Verpackungsmüll, der in den Fluss des Lebens geworfen wurde, sondern ein berauschender, vor Lebensfreude und Zukunftsvisionen sprudelnder Baum, der ordentlich Blüten abwirft, bevor er saftige Früchte trägt. DAS bist du. Keine lose Hülle, kein sich dem Jetzt aufopferndes Denkmal, kein erstarrter Augenblick.

Du bist (um im Pathos zu bleiben) das blühende Leben und dieses Leben wächst und gedeiht und entwickelt sich stetig fort! Und diese Entwicklung kann nur, ich wiederhole abermals, kann nur in stetiger Vorfreude stattfinden.


Und für diese Vorfreude musst du ganz alleine sorgen!


Kein Brief wird reinflattern, der dir eine sorglose Zukunft beschert, keine zigste Versicherung wird dir Absicherung gewähren können, und kein Geld der Welt wird dir die Angst nehmen, es nicht doch mal verlieren zu können. Nichts im Äußeren wird dir Vorfreude auf lange Sicht gewähren können, du musst schon selbst Vorfreude zulassen, und zwar EGAL, was momentan bei dir ansteht.


Verstehst du – der Blick nach vorne ist ausschlaggebend und absolut grundlegend für dein gesamtes Leben.


Entweder du blickst also voller Vorfreude in eine glänzende Zukunft, erfreust dich an deinem Leben, bekommst Mut und Antrieb für das Jetzt und kannst folglich wachsen und aktiv dein Leben gestalten – ODER aber, dein Blick nach vorne ist getrübt vor Angst und Bitterkeit, lässt dich die ganze Zeit Karussell fahren, nachts nicht schlafen und schlecht essen lassen. Dein Körper nimmt ab, deine Seele verkommt, Rauschmittel bieten sich an, du wirst alt und lustlos – und das Letzte, was von dir übrig bleibt, ist ein verkümmertes Häufchen Elend, aus dem das letzte Bisschen Leben(sfreude) ausgepresst wurde.


Denn wenn du Vorfreude empfindest, dann weißt du auch, was dir zusteht.


Ein Partner, der dich liebt und wertschätzt.

Ein Job, der dich gut bezahlt und gut behandelt.

Ein Zuhause, das dir wirklich ein Zuhause ist.

Freunde, die dich gebührend feiern.

Ein Leben, das dich einfach glücklich macht!


Nachdem nun alles geklärt ist, ist es Zeit, wie in alten Teenietagen, dass wir wildhüpfend im Pyjama uns auf deine unverschämt gute Zukunft freuen.

Wie in 30 über Nacht, wenn Jennifer Garner zu Love is a Battlefield abdanced!


Lilith

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